Wie die Feuerwehr in Ortskernen das Übergreifen der Flammen auf andere Gebäude verhindert

06.06.2023

Die Enge ist eine große Herausforderung

 

Selbst für erfahrene Feuerwehrleute war es kein alltäglicher Einsatz: Als die

alarmierten Wehren in der Nacht zum Donnerstag in der Spessartstraße in Kassel eintrafen, stand das Wohnhaus bereits in Vollbrand. Mitten im Ortskern von Kassel ist die Bebauung eng. Deshalb war die Gefahr groß, dass der Brand auf umliegende Häuser übergreifen könnte. Eine Befürchtung, die sich bewahrheitete. Das Feuer sprang auf ein angrenzendes Gebäude auf dem gleichen Grundstück über, das ebenfalls Opfer der Flammen wurde. Durch das schnelle und beherzte Eingreifen der Einsatzkräfte kamen glücklicherweise keine weiteren Gebäude zu Schaden.

 

Im Interview mit der GNZ erklärt Kreisbrandinspektor Markus Busanni, wie es Feuerwehren in solchen Fällen gelingt, ein Übergreifen der Flammen zu verhindern. Zudem spricht er darüber, wie belastend ein solcher Großeinsatz für die ehrenamtlichen Brandbekämpfer ist.

 

GNZ: Ein Einsatz wie der in Kassel ist auch für erfahrene Feuerwehrleute nicht alltäglich. Was macht einen Einsatz innerhalb eines Ortskerns mit enger Bebauung für die Feuerwehr so schwierig?

 

Markus Busanni: Die alten Ortskerne im gesamten Kreisgebiet sind teils über Jahrhunderte gewachsen, weit bevor die ersten Brandschutzkonzepte geschrieben wurden. Die Enge von Gassen, die Zuwegung zu einzelnen Gebäuden im hinteren Teil eines Grundstücks, die Koordination von Verstärkung: Das sind schon besondere Herausforderungen, gerade für die Logistik. Man darf aber nicht vergessen, dass unsere Feuerwehren vor Ort auch die einzelnen Straßenzüge bestens kennen und daher gut wissen, wie sie sich auf die Einsatzorte einstellen. Es ist deshalb umso wichtiger, dass es einen flächendeckenden Brandschutz gibt und wir in jedem Ortsteil mit einer eigenen Feuerwehr präsent sind.

Bei solchen Einsätzen steht vor allem das Eindämmen des Brandes im Vordergrund. Wie geht die Feuerwehr in solchen Situationen vor? Wie stellen die Einsatzkräfte sicher, dass das Feuer nicht auf benachbarte Gebäude überspringt?

 

Zwei Dinge sind da wesentlich: Zum einen geht es darum, die direkte Gefahrenquelle, also den Brandherd, einzudämmen und ein mögliches Überschlagen des Feuers auf benachbarte Objekte zu verhindern. Das umfasst dann auch, dass man so schnell wie möglich einen Überblick darüber bekommt, welche weiteren Risikofaktoren in dem Gebäude oder auf dem Hof lauern, Stichwort Gasflaschen, brennbare Gegenstände oder Ähnliches. Zum anderen sind angrenzende Gebäude zu kühlen, so weit das je nach Einsatzlage geht und je nach Einsatzentwicklung notwendig ist.

 

Die Polizei vermutet, dass der Brand in Kassel ausgebrochen ist, weil ein Bewohner mit einer brennenden Zigarette eingeschlafen ist. Macht es für ehrenamtliche Feuerwehrleute bei einem Einsatz einen Unterschied, wenn sie sich selbst in Gefahr bringen und dann vor Ort erfahren, dass der Brand womöglich durch fahrlässiges Verhalten entstanden ist?

 

Das ist müßig zu diskutieren und spielt vor Ort im Einsatzgeschehen erfahrungsgemäß keine Rolle. Im Sinne der Sicherheit von uns allen muss man sagen: Das ist auch gut so.

 

Großbrände wie der in Kassel können gerade für unerfahrenere Einsatzkräfte auch mental eine große Belastung darstellen. Wie werden solche Einsätze in den Einsatzabteilungen nachbearbeitet?

 

Die Nachbearbeitung ist wichtig. Lassen wir das Einsatztechnische mal beiseite: So ein Einsatz, auch wenn er schon eine Weile beendet ist, steckt jedem Kameraden und jeder Kameradin in den Klamotten. Das ist doch klar und nur allzu menschlich. Die Aktiven der Feuerwehren wie auch der Hilfs- und Rettungsverbände haben eine Reihe von Möglichkeiten, sich mit anderen noch einmal auszutauschen und über das Erlebte zu sprechen. Wir haben eine gut organisierte Notfallseelsorge und psychosoziale Betreuung. Das sollen die Kameradinnen und Kameraden wahrnehmen, das gehört dazu. Ich halte das persönlich für sehr wichtig, und dieser Aspekt hat heute auch zum Glück eine viel höhere Priorität in den Wehren und Einheiten, als noch vor einigen Jahrzehnten: aktives Auf- und Verarbeiten – sei es Darüberreden oder Sport mit anderen oder was auch immer. Die Gemeinschaft hilft dabei, mit der mentalen Belastung fertig zu werden. In diesem konkreten Fall in Kassel hat es zum Glück keine Personenschäden gegeben. Das ist nochmal eine ganz andere und schwerere Belastung.

 

Der Brand in Kassel hat wieder einmal gezeigt, wie wichtig es ist, dass die freiwilligen Feuerwehren über genügend Atemschutzgeräteträger verfügen. In vielen Einsatzabteilungen gelten diese Fachkräfte aber als rar. Wie bewerten Sie die Situation?

 

Aus- und Fortbildung sind das A und O. Wir haben gute und schlagkräftige Feuerwehren im Kreisgebiet. Aber die proaktive Nachwuchssuche wird immer bedeutender, genauso die proaktive und strukturierte Weiterbildung der Einsatzkräfte. In der heutigen Zeit ist es eben nicht selbstverständlich, wenn ein junger Familienvater, der einen Beruf in Vollzeit ausübt, oder eine junge Schichtdienst-Arbeiterin noch Lehrgänge besuchen. Dazu bieten wir verschiedene und angepasste Ausbildungskonzepte an. Unter anderem wird im Juni über mehrere Tage hinweg eine mobile Brandübungsanlage des Landes Hessen in Wächtersbach aufgebaut. In dieser Anlage können bis zu 360 Atemschutzträgerinnen und -träger realitätsnah ausgebildet werden, also unter Feuer und mit dem Ziel der Brandbekämpfung wie auch dem Absuchen nach Personen. Wir müssen alles dafür tun, dass die Hürden für eine Teilnahme an Aus- und Fortbildungen so niedrig wie möglich sind – zeitlich, räumlich, finanziell und konzeptionell. Zum Glück sind die Arbeitgeber in dieser Hinsicht heute überaus kooperativ. Auch die Unterstützung und Anreize seitens der Rathäuser ist gut. Das ist ein Thema, das die ganze Gesellschaft angeht: Wir brauchen starke Feuerwehren und Respekt und Anerkennung für deren Arbeit.

 

erschienen in der GNZ am 03.06.2023

 

Bild zur Meldung: Die enge Bebauung ist eine Herausforderung